Mittwoch, 5. November 2008

Curse - Freiheit



Mit Feuerwasser hörte man im Jahre 2000 erstmals düstere Skills, gepaart mit ehrlichen Lyrics. 2001 ließ man den Hörer größtenteils einen Beziehungskrieg miterleben in dem man Gefühle und Emotionen mit einem hohen Selbsterkennungsfaktor von Innen nach Außen kehrte. Neue Textideen und soundtechnisches Neuland wurden mit innerer Sicherheit 2003 bravourös umgesetzt. Schon zu dieser Zeit war es bemerkenswert, dass Curse trotz stilistischer Treue, konstant drei grundlegend verschiedene Alben releaste, in dem das vierte Album Sinnflut in Nichts nachstand. Nun ist es doch nach einer zehn jährigen Bereicherung für deutschen HipHop, mehr als menschlich, zu versuchen neues zu schaffen, kombiniert mit einer Aussage die uns in der heutigen Zeit sichtlich schwer fällt zu verwirklichen, da immer mehr Ängste und Fremdeinwirkungen unser Sein beeinflussen. Weniger mit streng raporientierten Beats und auf Teufel komm raus, flowtechnischer Legwertung, mehr mit musikalischer Priorität rundum, versucht Curse die Freiheit uns ein Stück zurückzubringen. Ob ihm das gelingt bleibt vorerst fraglich.

"Der Lange Weg zur.." beginnt mit einer Pianomelodie welche Anfangs ohne Begleitung anderer Instrumente zu hören ist. Pssst, jetzt, die Streicher kommen hinzu, genießen und fesseln lassen! Positive Vibrations gepaart mit aufschlussreichen Sätzen über unsere Gesellschaft lässt keinerlei Vorfreude platzen, im Gegenteil, es pustet die ohnehin schon volle Erwartungsblase weiter auf. Sehr schön! Ich glaube, bei der folgenden These sind wir uns alle einig: Die Definitionsfrage von "Freiheit" erwartet so ziemlich die komplexeste Antwort, die man formulieren könnte. Umso beeindruckender zeigt Curse wieder mal, wie treffend er diese in zwei Parts konkretisieren und darlegen kann. Die Lyrics sind definitiv das Salz in der Suppe, welche von keinem geringerem als Marius-Müller Westernhagen nachgewürzt wird und ihr einen einzigartigen Geschmack verleit. Vergleiche ich das nun mit dem Xavier-Feature, verspüre ich in "Stell dir vor" schon eher einen bitteren Beigeschmack. Der düstere Beat, der wirklich sehr gut ins Ohr geht, verliert aber spätestens in der Hook leicht an Harmonie und somit wird auch die Stimme der deutschen Soullegende ein wenig in den Schatten gestellt. Die Parts werden beleuchtet – aber leider nur mit Sparflamme. Denn die Message zeugt von wenig Innovation, mit Ausnahme von Lines wie: "Stell dir vor deine Trauer verblasst, stell dir vor jede Träne, die du hast, kommt nur weil du lachst" bewirken bei dem Hörer einen kleinen Überraschungseffekt. Daher kein schlechtes Ding. Während nun Chima im nächsten Track souverän, dennoch gewöhnungsbedürftig nach der "Schönen Wahrheit" sucht, kramt Curse mal wieder etwas tiefer indem er Selbstzweifel und seine Erwartungshaltung gegenüber sich selber, tiefgründig und sehr persönlich darlegt! Sehr schön finde ich auch die emotionale Basis des Tracks. Diese steigert sich und führt letztlich auch zu einer Erleichterung, vorausgesetzt man kann sich damit identifizieren. Trotz allem geht es "Ein ganz kleines bisschen" besser, wie uns der fünfte Track von Freiheit beweist. Denn nach Stimmen, wie die von Jenny Willemstijn - der erste weibliche Featuregast der Scheibe - würden sich so manche Castingshows im Fernsehen nur die Finger lecken. Das ist pure Soulmusik und mit Leichtigkeit setzt der eigentliche Protagonist dem Ganzen noch die Krone auf, indem er mit einem lockeren Flow und doch gezielter Message den Hörer in das Gefühl der Leichtigkeit mit einbezieht. Anspieltipp! So weit, so gut. Flott geht’s weiter, Curse riecht "Gold" und ich muss schon sagen, hier beweist er wieder mal ein richtiges Näschen. Durch die Schnelligkeit in Beat und Flow gelingt ihm hier eine super Abwechslung. So, kurz mal Pause - mal überlegen: Positive Wachmacher, deeper Stimmungswechsel in "Stell dir vor" dann zuversichtlich auf Goldsuche und nun, was fehlt? Richtig! Eine Story mit unglaublichen Metaphern! Eine Story die soviel authentischen Details beinhaltet, so das es klappt eine Audiodatei in Filmmaterial zu verwandeln. In "100 Jahre" gelingt es ihm ohne Frage. Die Geschichte beginnt in der Kriegszeit und beschreibt die Schicksalsschläge zweier Menschen. Traurig, doch trotzdem mit einem HappyEnd-Effekt, der in "Ich kann nicht mehr" wieder verblasst. Der Beat versprüht genauso viel Pessimismus wie Clueso in der Hook, was nicht negativ zu verstehen ist und Curse macht klar, dass man nicht mehr machen kann, als seine Hilfe anzubieten. Die Entscheidungkraft jedoch liegt bei jedem allein. Schade, leider steuert Clueso nicht mehr als eine Hook dazu, hätte mir definitiv mehr gewünscht! Nichts desto trotz hat sich der Fluch in "Baby" das nächste große Feature ins Boot geholt. Lines wie: "Ich kann nicht wissen, ob ich dir deine Kindertage verzaubern konnte, dir mit staunenden Augen beim Wachsen zuschauen konnte. Doch ich schreib dir dieses Lied für jeden einzelnen Moment an dem du glaubst das es niemand gibt der dich liebt", erläutern ziemlich treffend den Inhalt und Nneka punktet durch ihre aussergewöhnliche Stimme nicht nur beim Mindener, sondern auch beim Hörer! Natürlich ist man als stinknormaler Rap-Head immer der Gefahr ausgesetzt, durch Curse an Reizüberflutung zu erkranken. Gerade weil man etliche Gefühlsebenen durchlebt, ist dieses Album auf eine positive Art und Weise anstrengend. Genau richtig für einen Reggaetune, der euch mit großer Warscheinlichkeit behilflich sein wird, euren Arsch aus der Couch zu heben. Anders als bei Sinnflut ist Patrice nun in einem Partytrack etabliert, in denen er ja bekanntlich genauso eine gute Figur macht, wie auf smoothen Sounds. Nach einer Lockerung der Ohrmuscheln, kann es nun in aller Ruhe weiter gehen. Doch bei einem so kritischen Thema, wie man es in "Lila" vorfindet, fällt es mir schwer, mich zu entspannen. Schon allein der deepe Jazzbeat mit Unterstützung von Jaguar Wright bringt mich in eine melancholische Stimmung. Sehr erstaunlich, wie viel Sympathie Curse durch begründen mehrerer Tatsachen für eine Person hervorrufen kann, die in Medien und von Menschen gehasst und verachtet wird. Mehr will ich an dieser Stelle nicht verraten, doch dieser Track ist ein absolutes Highlight auf dem Album. Und das nächste folgt zu gleich mit "Wenn ich die Welt aus dir erschaffen könnte". Und mir geht wirklich ein Herz auf bei Zeilen wie: "Du bist der Berg meines Tals, der Pfeil meines Pfads, das Seil meiner steilen Bergwand, wenn ich verzag frag ich dich und spendest Rat, ich krieg die Felsen nicht bergauf, doch du kommst und erfindest das Rad". Dazu noch ein Instrumental mit freundlicher Unterstützung von Mr. Piano, rollen wir nun ganz slowly Richtung Ende! Wer den alten Curse bisher vermisst hat, wird dennoch nicht leer ausgehen. Ihr habt zwar "Bis zum Schluss" gewartet, doch das Resultat trotz der heißen Diskussionen im Vorfeld über dieses Feature überrascht sogar mich, als einer von vielen Pop-Kritikern im Land, positiv. Die Stimme von Stefanie Kloß passt sehr gut zum Konzept und auch das teilweise eingespielte Instrumental der restlichen Bandmitglieder von Silbermond hinterlässt einen super Eindruck. Warum nicht mehr davon, wenn daraus solch gute Ergebnisse resultieren. Stimmungsschwankend drücken wir mit "Fantastisch" zum letzten mal die Playtaste. Und nach kurzer Zeit steht auch hier fest, dass ich es nicht bereuen werde. Es ist geil, anders zu sein und man soll stolz darauf sein wie man ist, lautet hier die Devise. Schöner Abschluss mit Ausnahme der Hook, die ich bis heute nur schwerfällig verdauen kann.

Curse ist erwachsener und das hört man in diesem Werk mehr als deutlich raus. Die musikalische Weiterentwicklung, mit tatkräftiger Unterstützung von eingespielten Instrumenten und einer durchaus mutigen Zusammenstellung von erstklassigen Featuregästen, ergeben ein vollkommenes Gesamtprojekt, das ich nicht nur jedem Raphead, sondern auch allen anderen Zielgruppen ans Herz legen möchte. Curse stellt hohe Ansprüche an den Hörer durch eine beeindruckend poetische Sprache und hinterlässt somit ein weiteres Werk, von dem man lange zehren kann. Somit verbleibe ich mit den besten Empfehlungen und der Feststellung, dass sich Rap im deutschsprachigen Bereich doch positiv weiterentwickelt!